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RUTH VOGEL

EIN BIOTOP IM BEHANDLUNGS-DSCHUNGEL DER PSYCHIATRIE

Die Malgruppe der Rheinischen Kliniken Viersen

Es ist Montag, später Nachmittag, ein Montag wie viele andere zuvor. Die Dinge, die am Wochenende in der Abteilung geschahen, sind berichtet und entsprechend gewürdigt worden. Die Zeit ist wieder einmal vergangen, ohne daß ich so recht weiß, wie ich sie eigentlich genutzt habe. Ich bin auf dem Weg zur Malgruppe. Dort finde ich Rüdiger Kramer, den Künstler unserer Anstalt, mit vier konzentriert malenden Personen; andere waren am frühen Nachmittag gekommen und sind schon wieder gegangen, zusätzlich wurden weitere noch gebracht und wieder abgeholt. Die vier, die jetzt noch malen, sind bereits seit mittags mit ihrer Malerei beschäftigt. Als ich komme werde ich freundlich begrüßt, setze mich dazu und sehe mir gern die Arbeiten an, mit denen die Malenden gerade beschäftigt sind, die ganz unterschiedlich und verschieden weit entwickelt sind. Für mich als Laien ist es immer wieder faszinierend zu sehen, was dort in der Malgruppe entsteht und wie es entsteht. Die Malgruppe, nach Jahren des Provisoriums nun in den großen lichten Räumen der ehemaligen Nähstube untergebracht, ist der einzige Ort, die einzige Veranstaltung in der jüngere und ältere Patientinnen und Patienten aller Abteilungen und aus der Behandlung entlassene psychisch gestörte Menschen, die draußen wohnen, gemeinsam etwas tun, das nicht als Therapie bezeichnet wird.

Als die Malgruppe noch in dem Haus stattfand, in dem mein Dienstzimmer liegt, gelang es mir häufiger einen Besuch zu machen. Mich begeisterte immer die Lockerheit des Umgangs in der Gruppe. Es scheint auch keine Rolle zu spielen, wie schwer die psychische Störung ist, an der der einzelne leidet. So nehmen auch Menschen teil, die nicht in der Lage sind, sich verbal verständlich auszudrücken. Dennoch werden auch sie von jenen Teilnehmern akzeptiert, deren intellektuelles Niveau nicht geringer ist, als das ihrer Therapeuten auf den Stationen oder draußen.

In einem solchen Umfeld entwickeln selbst schwer gestörte Psychotiker Fähigkeiten, die ihnen vorher niemand zugetraut hatte. Langzeitpatient Degenhardt B., als junger Mann in die Psychiatrie gekommen und nun im Rentenalter, kam irgendwann ungefragt durch die offen stehende Tür herein, malte auf eine fremde Zeichnung ein Pferd und ging seiner Wege. Er kam dann gelegentlich wieder und dann immer öfter und schließlich regelmäßig. Er malte zunächst nur, wenn er dafür Kaffee oder eine Zigarette bekam. Nach und nach blieb er immer länger und konzentrierte sich eine halbe oder eine ganze Stunde und auch länger auf sein Kunstwerk, das mitunter sehr interessant war. Als er einmal nach einer Abbildung van Gogh kopierte, meinte ein anderer Patient, das das aussähe, als hätte Picasso van Gogh portraitiert. Degenhardt B., der sehr krank ist (und an sehr schlechten Tagen auch schon einmal nicht malen kann) und sonst ständig an akustischen Halluzinationen leidet, blieb, während er malte, völlig ruhig. Doch nicht nur das Malen wurde besser, er entwickelte auch zunehmend seine sozialen Fähigkeiten. So holte er mittags für die Malgruppe Tassen von seiner Station und setzte sich dabei auch gegen ihr Revier verteidigende Krankenschwestern durch. Vielleicht ist es eine Überinterpretation, aber nachdem er regelmäßig an der Gruppe teilnahm und so auch wieder Sozialkontakte mit Menschen hatte, die nicht mit ihm auf einer Station lebten, ihre Freude an ihm hatten, aber ihn ernst nahmen, äußerte er nach vielen Jahren erstmals den Wunsch, die Klinik zu verlassen. Zwei Jahre zuvor hatte er auf eine Frage Kramers, ob es in der Anstalt schön sei geantwortet, draußen sei es schöner, und auf die Nachfrage ob er denn noch einmal ´raus wolle, geantwortet: Beizeiten. Im Mai 1998 schließlich teilte er den Mitarbeitern seiner Station mit, er werde nun beginnen zu sparen. Auf die Frage, wofür er den sparen wolle, antwortete er: Für ein möbeliertes Zimmer! Nun war also beizeiten. Heute lebt Herr B. in einem möbelierten Zimmer im Rahmen einer Außenwohngruppe der Klinik. Auch von dort aus wird weiterhin dafür gesorgt, daß er an der Malgruppe teilnehmen kann.

Der Wert der Malgruppe wird mit Sicherheit von vielen Kolleginnen und Kollegen unterschätzt. Bei einigen wohl mangels Anschauung. Nicht zuletzt aber wohl, weil sich die Veranstaltung sehr vom Klinikalltag unterscheidet und es dort irgendwie unpsychiatrisch und künstlerisch-unangepaßt zugeht. Ich aber wünsche mir, daß alles für die Erhaltung dieses Biotops in der Viersener Psychiatrie getan wird und die Werke, die dort entstehen, entsprechend gewürdigt werden; sei es durch Ausstellungen oder dieses Buch.

Zum Schluß möchte ich noch darauf eingehen, wieso ich den Vergleich mit einem Biotop gewählt habe. Erst in den letzten Jahren ist man wieder verstärkt der Meinung, daß natürliche Lebensräume für Mensch und Tier wichtig zum Überleben sind. Gerade Psychiatrie- Patienten werden oft nach ihrer Symptomatik bewertet und behandelt. Die vorhandenen Fähigkeiten, die bei ihnen - genauso wie bei anderen Menschen auch - stärker oder schwächer ausgeprägt sind, kommen zu kurz bei der Betrachtung durch die psychiatrische Brille. Nicht so in der Malgruppe, die aus sich selbst heraus um Rüdiger Kramer herum so gewachsen ist, wie es die Umstände gerade erlaubten. Dort kommt es lediglich auf die Freude am Malen oder Zeichnen an, wobei durchaus die Unterschiede zwischen talentierten und weniger talentierten Teilnehmern gesehen und beachtet werden, aber alle die gleiche Aufmerksamkeit erfahren.

Das alles wäre nicht möglich ohne Rüdiger Kramers unermüdlichen Einsatz, der künstlerischer Berater, Aufsichtsperson und Freund der Teilnehmer in Lebensfragen ist. Es ist schon eine enorme Leistung an drei Tagen in der Woche (von 13.00 bis 18.00 Uhr) ohne Unterstützung durch andere Mitarbeiter oder Helfer eine solche inhomogene Gruppe zu leiten. Oft sind es mehr als 10 Teilnehmer am Nachmittag und es gibt für ihn absolut keine Rückzugsmöglichkeit oder einen Austausch mit Kollegen. Er versteht es aber offensichtlich eine Atmosphäre zu schaffen, die es auch schwer gestörten Menschen ermöglicht dauerhaft teilzunehmen und im Malen und Zeichnen eine sinnvolle Aufgabe zu sehen.

1998 in Eine bildliche Erde kann man haben

 

2000 bei der Ausstellungseröffnung im Ratinger Stadtmuseum

mit Ruth Vogel und Manfred Matthia, der gesagt hat Eine bildliche Erde kann man haben

 

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Stand:   15. November 2013